Montag, 9. Juni 2008 12:05
Ich war gerade das erste Mal in meinem Leben in Dortmund und muss zu meinem Bedauern gestehen, dass ich von der Stadt und der Umgebung kaum etwas mitbekommen habe: kein Stadtbummel, keine kulinarische Erkundigung. Nur ein paar Eindrücke von der frühmorgendlichen Fahrt mit dem Taxi durch eine nebelverhangene grüne Landschaft und viele schöne Fachwerkhäuser. Und, nein, Fotos hab ich auch keine gemacht – es war fünf Uhr früh!
Eigentlich war ich ja in Schwerte, ein paar Kilometer von D. entfernt. Gemeinsam mit meiner Kollegin Silvia Danninger habe ich dort ein Seminar gehalten für Mitarbeiterinnen von Familienbildungsstellen in ganz Deutschland. Und das war durchaus spannend. Hier ist mein Seminarbericht:
Der Ernährungsalltag befindet sich im Wandel – und wir stecken mitten drin. Bis vor rund 25 Jahren haben sich unsere Ernährungsgewohnheiten nur sehr langsam verändert. Heute geht es rasant – wie auch in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen. Die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen, gestiegene Anforderungen der Arbeitswelt, die Individualisierung von Lebensformen und ein unüberblickbares Angebot von Lebensmitteln stellen viele Familien vor erhebliche Schwierigkeiten bei der täglichen Versorgungsarbeit in der Küche. Es mangelt an Zeit und zunehmend auch an Kompetenzen, um den Ernährungsalltag angemessen zu bewältigen.
Diese Entwicklungen stellen eine große Herausforderung für die Familienbildung dar: Wie kann Essen und Kochen im Alltag von Familien gelingen? Welche Basiskompetenzen benötigen sie dafür? Wie kann Ernährungsbildung gestaltet werden? Und wie können auch sozial benachteiligte Familien erreicht werden? Das waren die zentralen Themen im ausgebuchten Workshop „ABC der Ernährung“ das von 2. bis 3. Juni 2008 in der Katholischen Akademie Schwerte stattfand. Unsere Auftraggeberin und Veranstalterin war Helga Klingbeil-Weber von der Katholischen Bundesarbeitsgemeinschaft für Einrichtungen der Familienbildung, die übrigens noch eine sehr interessante Zweitbeschäftigung hat.
Insgesamt 16 hauptamtlich pädagogische Mitarbeiterinnen im Bereich Hauswirtschaft aus Einrichtungen der Familienbildung in ganz Deutschland nutzten die Gelegenheit, sich über aktuelle Entwicklungen im Bereich Ernährung auszutauschen, eigene Zugänge zu diesem Thema zu reflektieren, über sinnvolle Bildungsziele und Basiskompetenzen zu diskutieren sowie neue Angebotsformen und methodische Zugänge kennen zu lernen.
Wir Referentinnen brachten unter anderem unsere Erfahrungen aus einem spannenden EU-Bildungsprojekt mit: „Food Literacy“ – so auch der Projekttitel – ist die Fähigkeit den Ernährungsalltag selbstbestimmt, verantwortungsbewusst und genussvoll zu gestalten. Unter „Literacy“ wird im allgemeinen die Lese- und Schreibfähigkeit verstanden. Der Begriff steht aber in der internationalen Bildungsdebatte zunehmend für Basiskompetenzen, die Menschen benötigen, um ihr Leben aktiv gestalten zu können. Gemeinsam mit Institutionen der Erwachsenenbildung und ExpertInnen aus dem Bereich Ernährung und Esskultur haben wir im Rahmen des Projekts gemeinsam einen inhaltlichen und methodischen Ansatz für die Ernährungsbildung von Erwachsenen entwickelt. Um auch sozial benachteiligte Zielgruppen besser erreichen zu können, wurde außerdem ein Modell erarbeitet, bei dem Food Literacy als Querschnittsmaterie in andere Angebote und Bereiche der Erwachsenenbildung eingeführt werden kann.
Meine Kollegin Silvia Danninger stellte einen sehr erfolgreichen Test aus dem Projekt vor: Bei einem mehrwöchigen Bewerbungstraining für Langzeitarbeitslose hatte sie Inhalte und Methoden aus dem Food-Literacy-Handbuch eingesetzt, um ein positives Gruppenklima zu schaffen sowie zu vermitteln wie wichtig gute Ernährung auch für die Ausstrahlung und Arbeitsfähigkeit ist. Bei den Teilnehmerinnen unseres Seminars stieß dieser Erfahrungsbericht auf großes Interesse. Schließlich stehen sie in ihrem beruflichen Alltag vor der Herausforderung sozial benachteiligte und bildungsferne Zielgruppen zu erreichen und niederschwellige Angebote im Bereich Ernährung und Hauswirtschaft zu entwickeln, die auch angenommen werden.
Ich denke, dass es gerade in diesem Bereich weniger um die Vermittlung von Wissen geht, sondern darum Erfahrungen zu ermöglichen, um so nach und nach größere Handlungsspielräume zu schaffen. Wichtiger als Informationen über die Ernährungspyramide zu geben, ist es eine grundsätzliche Wertschätzung des Essen zu vermitteln.
An vier selbst gewählten Fallbeispielen wurden von den Teilnehmerinnen schließlich erste Konzepte für die Umsetzung entwickelt. Es zeigte sich, dass es ein großes Bedürfnis nach konkreter, fachlich begleiteter Konzeptarbeit – in einem nächsten Workshop? – gibt.
Bei dem würd’ ich dann auch mehr fotografieren, versprochen!