Ich koche, also bin ich – unabhängig
Nicht alles kann ohne schwerwiegende Folgen ausgelagert werden – kritische Anmerkungen einer kochenden Zeitgenossin:
Aus den aktuellen Krisen rund um Nahrungsmittelknappheit und Hungerrevolten können wir vieles über Abhängigkeit und deren Folgen lernen. Zwar gibt es für die derzeitigen Probleme mehrere Ursachen – verdorbene Ernten im vergangenen Jahr, hohe Ölpreise, die steigende Nachfrage nach Agro-Sprit und die mit all dem zusammenhängenden Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln. Die wahrscheinlich wesentlichste Ursache aber heißt Abhängigkeit: Auf Grund der jahrelangen internationalen Politik mutierten zahlreiche Länder des Südens von Selbstversorgern zu Importeuren von Nahrungsmitteln. Statt in die kleinbäuerliche Landwirtschaft zu investieren, wurde sie durch den lukrativeren Anbau von Exportware für den Weltmarkt verdrängt. In der Folge verschwanden lokale Sorten, örtlich angepasstes Saatgut und auch das Wissen um geeignete Anbaumethoden. Der Preis dafür ist eine steigende Abhängigkeit vom Weltmarkt, von Nahrungsmittelimporten, von multinationalen Saatgutfirmen. Solange die Preise für Grundnahrungsmittel niedrig waren, schien das nicht so schlimm zu sein. Doch unter den heutigen Bedingungen ist es für viele Menschen eine Katastrophe.
Plastikflasche mit Weizenmehl, Glukosesirup, Trockenhühnerei und Vollsalz.
Was wir im industrialisierten Norden daraus lernen können ist, dass es Ernährungssicherheit ohne Ernährungssouveränität nicht gibt. Abhängigkeit, mangelnde Gestaltungsmacht und fehlendes Know-how führen gerade in einem derart existenziellen Bereich wie dem Essen früher oder später zu Problemen. Aber genau in diese Richtung scheinen sich die Ernährungsgewohnheiten westlicher Gesellschaften zu entwickeln. Viele Studien und Untersuchungen kommen da zu ganz ähnlichen Schlüssen: „Kochen und alles, was sich rund um die alltägliche Ernährung rankt, wird aus dem privaten Bereich mehr und mehr verdrängt“, konstatiert beispielsweise die Ernährungswissenschaftlerin Hanni Rützler in einer aktuellen Studie des Zukunftsinstituts. Zeitmangel durch berufliche und andere familiäre Verpflichtungen, sowie der Wunsch nach persönlicher Freizeit spielen dabei eine Rolle. Dadurch verschwindet allerdings schön langsam auch das Wissen um die sachgemäße Verwendung von Lebensmitteln und die Fertigkeiten, die für das Kochen nötig sind.
Die Industrie hat auf diese Entwicklungen längst reagiert. Das Angebot an Fertig- und Halbfertiggerichten wird immer größer und auch die Qualität dieser Produkte wächst, entsprechend den gestiegenen Ansprüchen der KonsumentInnen, was Frische, Geschmack und Gesundheit betrifft. Was allerdings mitwächst ist die Abhängigkeit von den Angeboten der Nahrungsmittelhersteller. Mittlerweile gibt es schon Palatschinkenteig in Plastikflaschen. Eier, Milch und Mehl im richtigen Verhältnis zusammenmischen, das können offenbar viele nicht mehr. Das „Outsourcen“ der täglichen Versorgungsarbeit bringt zwar kurzfristig Entlastung, längerfristig gesehen ist der Preis dafür allerdings eine steigende Abhängigkeit vom Angebot der Nahrungsmittelindustrie und der Supermärkte.
Zutaten für selbstgemachte Palatschinken/Pfannkuchen: Eier, Mehl, Milch.
Natürlich gibt es auch den gegenteiligen Trend: Wer unter der Woche keine Zeit hat, geht zumindest am Wochenende auf den Bauernmarkt einkaufen, zelebriert vielleicht das Kochen im Freundeskreis und gönnt sich am Samstag Abend einen Kochkurs beim Spitzenkoch. Aber machen wir uns da bloß nichts vor, diese Gegenbewegung erfasst nur einen kleinen Teil der Gesellschaft. Der Trend in Richtung Auslagern von Versorgungsarbeit – ob beim Putzen, bei der Kinderbetreuung, der Versorgung alter Menschen oder beim Kochen – ist wohl mächtiger, schon weil wirtschaftliche Interessen dahinter stehen. Dass diese Art des Lebens von einer Mehrheit bevorzugt wird, glaube ich hingegen nicht. Es ist wohl mehr ein sich arrangieren unter schwierigen Rahmenbedingungen. Und bei den Rahmenbedingungen müsste man auch ansetzen, denn die alltäglichen Belastungen sind real und der Wunsch nach Entlastung nur allzu verständlich.
Mag sein, dass die Lage in Österreich in Hinblick auf das Kochen und den Umgang mit Nahrungsmitteln (noch) nicht ganz so schlecht ist, wie beispielsweise in England, wo die Regierung vor kurzem das Kochen auf den Lehrplan der 11- 14 jährigen gesetzt hat – im Kampf gegen das zunehmende Übergewicht schon bei Kindern. Aber müssen wir mit geeigneten Maßnahmen warten, bis es bei uns auch soweit ist? Kochunterricht und Geschmacksbildung á la Slow Food wären auch in österreichischen Lehrplänen sinnvoll. Eine bessere Aufteilung der Erwerbsarbeit könnte mehr Zeit für die Versorgungsarbeit bringen. Diese in Familien gerechter zwischen Frauen und Männern aufzuteilen wäre ebenfalls ein wichtiger Schritt.
Derzeit leiden wir in unseren Breitengraden „nur“ unter erheblichen Preissteigerungen bei Lebensmitteln – was allerdings für Menschen mit geringen Einkommen schon schlimm genug ist. Ernährungssicherheit und -souveränität haben eine globale Dimension, eine nationale und – eine persönliche. Die beiden ersten Dimensionen prägen gerade die Schlagzeilen. Höchste Zeit auch mal einen Blick auf die persönliche Dimension dieses brisanten Themas zu werfen. Ernährungssicherheit und Ernährungssouveränität fangen nämlich in den privaten Küchen und Haushalten an.
P.S.: Ich habe den Palatschinkenteig aus der Plastikflasche nicht ausprobiert und habe es eigentlich auch nicht vor. Da geht es gar nicht um Geschmack, sondern das ist einfach ein absolut absurdes Produkt. Soviel überflüssiges Plastik für 4 – 6 Palatschinken!
Hier ist noch mein Lieblingsrezept für selbstgemachte Palatschinken: 2 Eier, 200 ml Milch, 100 g Mehl, eine Prise Salz und ein kleiner EL Olivenöl versprudeln – eine halbe Stunde stehen lassen, backen, am besten sofort essen und genießen!